Das gute Sachbuch: Review "Left of Bang"

  • Diese kleine Buchbesprechung erschien ursprünglich auf meinem Blog.



    Bessere Namen hätte man eigentlich auf das Buchcover von "Left of Bang" gar nicht drucken können; de Becker hat einen Mordserfolg mit "The Gift of Fear" und das völlig zu Recht, General "Mad Dog" Mattis ist mittlerweile eine Legende nicht nur im USMC, Dave Grossman hat Killology erfunden und sorgt für stetigen Zuwachs an Kunden und Erkenntnissen, und Steven Pressfield ist wohl einer der ganz großen, taktischen Romanautoren.


    "Left of Bang" besteht aus den wichtigsten Ideen des Combat Profiling, welches wiederum ein Drittel des USMC-Combat Hunter Program bildet. Dieses Programm wurde entwickelt, um US-Marines Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, die in ihrer normalen Ausbildung fehlen, die sie aber dazu ermächtigen, deutlich effizienter und sicherer auf dem Schlachtfeld zu werden. Ihnen soll die Möglichkeit gegeben werden, sich mit ihrem Umfeld, den Dingen wie den Menschen, auf eine neue Art und Weise auseinanderzusetzen, indem man ihnen neue analytische Zugänge zu ihrer eigenen Wahrnehmung beibringt.


    Die anderen beiden Facetten, Combat Tracking und allgemein Observation, des Combat Hunter Program werden im Buch wie gesagt ignoriert, wären aber vermutlich auch nicht so interessant und gewinnbringend zu lesen. Das Buch soll eine Anleitung dazu sein left of bang zu bleiben, also auf der Zeitleiste eines Notfalls links von ihm und nicht rechts, also aktiv agierend und nicht reagierend und sich so vom Gegner Optionen diktieren zu lassen. Das erste Kapitel beschreibt grundlegend das Wesen des Combat Profiling, aus welcher Not heraus es in Afghanistan entstanden ist und wie begonnen wurde es in die Praxis umzusetzen. Auch hier darf Coopers Color Code mal wieder nicht fehlen.


    Das zweite Kapitel setzt sich mit decision making unter Stress auseinander, ebenso mit dem gleichen Prozess aber einem Mangel an Details. Proaktiv zu bleiben und Entscheidungen zu treffen, die wahrscheinlich die richtigen oder zumindest weniger falschen sind, ist das Herzstück dieses Buches. Wie und warum wir dazu in der Lage sind, wird im Buch sehr schön dargestellt.


    Im dritten Kapitel wird es dann richtig spannend: Die Six Domains werden eingeführt, in die menschliches Verhalten unterteilt wird, folgt man dem Konzept Combat Profiling. Ich verrate an dieser Stelle nicht alle sechs, aber zusammen ergeben sie ein umfassendes Bild dessen, was einem an zwischenmenschlichem Verhalten begegnen kann. Das Verhalten ist dabei nicht zwingend direkt interpersonal, sondern kann sich auch auf Bewegungsmuster in besiedelten Gebieten, Graffiti oder Gruppendynamiken beziehen.


    Kapitel vier beschreibt, wie man auf Grundlage der vorher gewonnen Erkenntnisse gute Entscheidungen trifft, und das möglichst schnell. Es werden eine Handvoll Optionen entwickelt, jeweils zugeschnitten auf Situation und Akteur, im Einkaufszentrum als Zivilperson sind diese natürlich grundverschieden von denen eines Marines in Afghanistan. Die Betonung von Aktion gegenüber Reaktion wird hier sogar noch wichtiger.


    Das letzte Kapitel beschreibt, wie nun all diese Ideen, Konzepte und Theoreme in Aktion umgesetzt werden können und sollen. Besonders gut gefiel mir die detaillierte Beschreibung davon, im Alltag baselines zu erkennen und was Abweichungen von diesen bedeuten können.


    "Left of Bang" ist eine sehr strukturierte Anleitung zum Thema situational awareness. Die sechs verschiedenen analytischen Zugänge ermöglichen es, eigene Entscheidungen argumentativ zu rechtfertigen, wirken aber manchmal etwas steif. An dieser Stelle bemerkt man, dass das Übertragen von Kategorien aus Afghanistan auf den Alltag irgendwo im Westen, einen Ort an dem man also vermutlich aufgewachsen ist und dessen Kultur man vollständig verinnerlicht hat, nur bedingt funktioniert. Das Buch bildet aber trotzdem eine ausgezeichnete Grundlage für den tactical lifestyle, auf der man mit eigenem Wissen und eigener Erfahrung sehr solide aufbauen kann.


    Als Bonus gibt es noch eine sehr ausführliche Internetseite passend zum Buch, auf die man als Käufer zugreifen kann. Neben weiterführenden Texten gibt es dort auch Videos, anhand derer die im Buch beschriebenen Phänomene und Verhaltensweisen verdeutlicht werden. Die Webseite ist allein den Preis des Buches wert, finde ich.

    "Pacifism is not something to hide behind." - Walter Sobchak

  • Danke für die Vorstellung. Das Buch steht auch schon lange auf meiner Liste. :thumbup:
    Gruß Merc

    People are tribal. The more settled things are, the bigger the tribes can be. The churn comes, and the tribes get small again.
    IG: @mgph.edc

  • Leider nicht, und ich fürchte, das wird sich auch nicht sehr bald ändern. Deutsche Bücher zum Thema sind mir bisher kaum über den Weg gelaufen, allerhöchstens "Feuerkampf und Taktik", aber da ist der "passende" Teil zum Rest des Buches fast zu vernachlässigen...

    "Pacifism is not something to hide behind." - Walter Sobchak

  • Mittlerweile habe ich das Buch auch mal gelesen und möchte mich deiner Rezension mit ein paar Sätzen anschließen.


    Ich fand das Buch grundsätzlich sehr gut zu lesen - die eingestreuten "Anekdoten" machen es sehr anschaulich. Zum Teil habe ich es unterwegs gelesen - meistens im Bus oder Zug - und habe dabei regelmäßig innegehalten und versucht, das Gelesene umzusetzen bzw. in meiner Umgebung Verhaltensmuster/Baselines auszumachen. Die absolut immer geltende Baseline war, dass man bei den vielen Smartphone-Zombies keine Baseline erkennen kann. Punkt. Eine Anomalie ist dann schon jemand, der ohne Smartphone in der Hand bzw. ohne Kopfhörer in den Ohren herumläuft. Spannend wurde es dann aber doch wieder, Gruppen zu beobachten, was ja auch ein Thema des Buchs ist. Was in Afghanistan gilt, kann auch hierzulande Anwendung finden: Es gibt in jeder Gruppe einen Boss - und nicht immer ist es der, der am meisten oder am lautesten redet.
    Auf das Kapitel über Entscheidungsfindung war ich besonders gespannt. Hier zeigen die Autoren explizit Optionen für Polizisten und Zivilisten auf, statt sich nur auf Marines zu beschränken. Das tun sie in anderen Kapiteln zwar auch, aber hier ist es besonders essentiell, weil die Optionen (Prepare to) Kill / Capture / Contact natürlich nur für Soldaten im speziellen Kontext des Krieges anwendbar sein können und für Zivilisten keine Rolle spielen. Ich hätte mir hier vielleicht etwas "mehr" gewünscht, aber das hätte wohl den Rahmen des Buchs gesprengt.
    Insgesamt hat mir das Buch dabei geholfen, meine Aufmerksamkeit zu strukturieren, denke ich. Es erzählt kein absolutes Wissen über menschliches Verhalten und klammert insbesondere Gesichtsausdrücke aus, sondern gibt einem eine Anleitung zur aufmerksamen Beobachtung an die Hand, wobei der Fokus teils auf Individuen, teils auf Menschenmengen liegt. Dabei zeigen die Autoren auch auf, dass eine Verhaltensweise verschiedene Bedeutungen haben kann.


    Dir nochmal vielen Dank für die Rezension, xnkrtsx!

    "Having a suitable light is analogous to being able to change the weather."
    --- Andy Stanford, Fight at Night

  • Ich kann die zum Buch gehörende Website wirklich empfehlen, da wird alles schön veranschaulicht und mit Videos und Bildern ausgeführt.

    "Pacifism is not something to hide behind." - Walter Sobchak

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