Condor / Lennartz "Belgian Bowie" - Ab in den Wald!



  • Zum Einstieg gleich ein zeitsparender Hinweis:
    Finish-Perfektionisten, Hype-Super-Steel-Fans, notorische Messschieber-an-alles-Anleger, Freunde des perfekten High-End-Juwels auf Samt hinter Glas: Lest nicht weiter. Das hier ist eher nicht Eure Erfüllung. Hier muß man zwar Kröten nicht unbedingt schlucken, aber nach einem Stündchen Zerren an die Wand schmeißen.
    Dann taucht etwas für den Freund des „ausgewachsenen“ Messers als Begleiter für Outdoor-Touren und alle anderen Events auf, in denen man gern ein großes zuverlässiges Messer zur Hand haben will, das für viele dann durchaus ein Prinzen-Krönchen verdient haben könnte.


    Also nix mit Schneewittchen, eher Froschkönig! Ein Messer, das bei aller vorhandenen Schönheit und Rassigkeit weniger zum Ausstellen verlockt als sehr zum gemeinsamen Trip in den Wald – und sich dort sehr gut macht!




    Ich habe hier im letzten Jahr Tonys „Little Bowie“ vorgestellt, sozusagen den kleinen Bruder dieses Messers hier.


    Condor / Lennartz "Little Bowie"


    Eines der zentralen Themen seinerzeit war das Prinzip des „kleinen großen Messers“, erlangt nicht durch das sonst weitverbreitete „Kleinzoomen“ eines großen Modells (hier wesentlich des GBK, eines „ausgewachsenen“ Entwurfs von Tony), sondern des „Einkürzens“ der Klinge unter weitgehendem Erhalt von Spitzenform, Klingenhöhe, Griffhöhe usw. Das hat mich schon bei anderen Modellen fasziniert und überzeugt, bei der Konzeption von Messern wie dem GEK-EDC und dem Blade-Systems „MOZ“ habe ich dann eigene Vorstellungen ebenso umgesetzt gesehen wie beim Juchten „M1“ – und alle derartigen Messer haben sich sehr gut bei mir bewährt. Auch das „Little Bowie“ hat sich sehr gut bei mir bewährt, ich hatte es einen längeren Urlaub über in Gebrauch und Erprobung und habe es Euch überzeugt vorgestellt und empfohlen.


    Das war einer der beiden Gründe, die mich sehr neugierig auf den „großen Bruder“ des „Little Bowie“ gemacht haben, das aus meiner Sicht konzeptionell aus diesem Modell und dem besagten GBK weiterentwickelte „Belgian Bowie“….


    Der zweite Grund ist der Macher, Tony Lennartz, den ich seit einer Reihe von Jahren kenne und schätze.


    https://anton-lennartz.com/


    Nicht immer im Mainstream, nicht immer „pflegeleicht“ in Positionen und Argumentation, mit Jahrzehnten eigener Erfahrung und durchaus sehr entschlossen in der Vertretung dieser Erfahrungswerte. Aber, und das ist bemerkenswert, nicht ohne Einsicht in mögliche Alternativen oder andere individuelle Präferenzen anderer Anwender, und das bis hin zur Gestaltung seiner eigenen Angebote. Ich habe andere Macher/Hersteller kennengelernt, für die ihre eigene Erfahrungswelt das Maß aller Dinge war und die jede Sachkritik als persönlichen Angriff aufgefasst oder zumindest geflissentlich ignoriert haben. Meist kurze Versuche der Kooperation….


    Bei Tony habe ich über die Jahre bis in den Bereich annähernder „Alleinstellungsmerkmale“ die Bereitschaft kennengelernt, sich bei aller Überzeugung von der selbst präferierten Gestaltung nicht nur auf andere Vorlieben einzulassen, sondern sie beim Angebot seiner Messer den Anwendern auch alternativ anzubieten. Das war so bei den bei ihm absolut bewährten, aus den vollintegralen ersten GEKs entstandenen Rahmengriffen und ebenso bei den Tragemöglichkeiten seiner Scheiden, die längst auch Alternativen zu der bei ihm in seinem Anwendungsbereich völlig bewährten Cross-Trageweise zulassen.


    Im Ergebnis habe ich schon jetzt KEINEN Lennartz-Entwurf, der mich in den Jahren der Anwendung ergonomisch oder im Gebrauch enttäuscht hätte, und alle lassen sich – wie ich das meist vorziehe- auch konventionell auf 3 Uhr oder „kavalleriemäßig“ auf 9 Uhr tragen.




    Ich werde auf beide Punkte noch zurückkommen, insbesondere auch auf den Griff, dessen Kombination als Säbelgriff an einer weitgehend klassischen Bowie-Klinge für mich der Zentralpunkt dieses Entwurfs ist.

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  • Worüber wir reden:




    Technische Daten:
    • Klingenstahl: 1075 High Carbon Steel
    • Gesamtlänge: 32 cm
    • Klingenlänge: 19,5 cm
    • Klingenstärke: 5 mm
    • Gewicht: 450 Gramm
    • Griff: Micarta
    • Scheide: inkl. Lederscheide


    Hier bewegt und bebildert:


    https://www.youtube.com/watch?v=UsfAtOQa_KE


    Wir reden also über ein Outdoormesser mit Bowie- (Hecht-)Klinge, mit einer Klingenlänge von michaübersetzten siebenzweidrittel Zoll bei etwas über 3/16 Zoll Stärke und aus bewährtem C75-Kohlenstoffstahl. Halbhoch angesetzter Säbelschliff.
    Das ist allein bezüglich der Klinge also nichts Außergewöhnliches.







    Auch der vergleichsweise lange Clip Point macht das Messer zwar ausgesprochen rassig, ist aber -z.B. bei Larry Harley oder auch einzelnen Linder-Modellen – auch schon „vorgekommen“.




    Insgesamt also auf den ersten Blick ein Familienmitglied der Familie der Siebeneinhalb- bis Achtzöller-Bowies, zu dem man nur noch etwas zur konkreten Bewährung sagen müßte, wenn es nicht mit dem gewählten Griff kombiniert wäre, der es dann insgesamt von den weit überwiegend mit geradem Griff kombinierten anderen Familienmitgliedern unterscheidet.
    DARAUF werden wir also genauer schauen müssen: Wie wirkt es sich aus, was bringt es?

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  • Erst einmal konnte man da aber nur aus der Ferne schauen und mutmaßen, denn die Auslieferung auf dem deutschen Markt hat sich leider weit durch 2021 gezogen und ist noch immer nicht wirklich „flächendeckend“ angelaufen, das muß Tony ausgesprochen ärgern und hat mich ja auch lange geärgert…


    Dann kamen auch noch in ersten Reviews erste Zweifel an der Schärfe der Messer „out of the box“ auf, durchaus auch dort schon mit dem Hinweis, so etwas habe ein so rassiges Messer nun echt nicht verdient…


    Die ersten habe ich dann hier in Deutschland bei den netten Müllers von „Com2you-Biwak“ aus dem Saarland angeboten gesehen, und das mit nem regulären Hunni auch noch am unteren Ende der sich bildenden Preisspanne auf dem Inlandsmarkt von ungefähr 100 bis ca. 130 Euro, am Black Friday netterweise noch mal nen Zehner günstiger. Da kann, um das mal zu Preis-Leistung einzunorden, ansonsten vielleicht noch Ontario mithalten in dieser Größenklasse…


    Wenn wir jetzt zum Lieferzustand kommen, tut Euch und mir den Gefallen und lest dann erst mal weiter, was kommt, es sind ein paar Ärgerlichkeiten – aber im eher kosmetischen Bereich. Und bevor man dann abwinkt, denke man bitte fairerweise mal an klappernde Boltaron-Zumutungen aus USA oder lächerliche Kydexe aus Frankreich oder an geradezu kultbildende Folder-Marken, deren Exemplare dann zuweilen im Gebrauchtmarkt mit dem beruhigenden Hinweis auftauchen müssen, sie hätten keinen „sticky Lock“ oder Klingenspiel wie eine Weinberg-Ratsche oder würden tatsächlich mit ihrem Flipper auch irgendwie aufflippen. Alles bei Marken mit Weltrang und Preisen im Bereich des Mehrfachen unseres Kandidaten hier – und teilweise auch nicht schnell mal mit Bordmitteln zu beheben…


    Was die Müllers versandten, war tatsächlich nicht wirklich scharf, sie hattens netterweise mitgeteilt, und ich wußte es….Da ging es jetzt aber nicht um ein verschliffenes Messer, und notwendig zur Herstellung einer brauchbaren robusten Gebrauchsschärfe war auch nicht ein Neu-Anschliff, sondern lediglich ein kundiger Hand-Abzug (Danke, Jan!).




    An der oberen Schalenkante war Kleber ausgetreten und nicht entfernt worden. Das Verkleben selbst ist ja keine schlechte Sache gerade bei C-Stahl zusätzlich zum Vernieten und versiegelt den Raum zwischen Schalen und Erl gegen Eindringen von Feuchtigkeit und Schmutz. Aber man hätte das natürlich vor Auslieferung säubern müssen…


    Die Ausführung des Jimpings am hinteren Griffende ist etwas nachlässiger als beim „Little Bowie“, auch das ist aber nur Kosmetik und wäre mir nie aufgefallen, wenn ich nicht wegen des Klebers eh schon ein wenig sickig und in der Begutachtung dann übers rein Funktionale aufmerksam geworden wäre.




    Und an der vorderen Schalenkante im Bereich des vorderen Jimpings störte dann kurzzeitig noch eine nicht hinreichend gebrochene Kante, bis mit Schmirgel und ner Schlüsselfeile Abhilfe getan war, auch das „kein Ding“.


    Die Scheide ist wieder aus durchaus robustem Leder und stabil genäht, da habe ich schon für erheblich mehr Geld Ungeeigneteres präsentiert bekommen von US-Marken mit klingenden Namen.
    Schon beim „Little Bowie“ hatte ich das ja gelobt.
    Hier aber war der Mund der Scheide so schmal bemessen, daß das Messer zunächst nicht bis zur Schalen-Vorderkante eingeführt werden konnte. Und dann war natürlich auch noch der Sicherungsriemen zu kurz. Das mit dem Riemen ist mir mit einer ansonsten hochgelobten Scheide des dreimal so teuren Blackjack 1-7 auch schon passiert, daher war Abhilfe mit ner Wasserkocherkanne Heißwasser schnell geschaffen. Der Mund blieb aber so schmal, daß sich der Rand vorn an der Stelle ein wenig stauchte, an der das breitere Ricasso hinter der Schneide auch noch ins Warme wollte….






    Das geht jetzt alles, das Messer sitzt gut, der Riemen schließt ohne Gezerre, und sogar ich hab das sehr einfach hinbekommen, was bleibt ist ein kleiner kosmetischer Makel an der Scheide, wo man die kleine Stauchung eben erkennt, wenn man näher hinschaut.


    Das hätte ALLES überhaupt nicht sein müssen und war beim „Little Bowie“ auch nicht so. Es sieht alles ein wenig unaufmerksamer aus als beim Vorgänger, und das haben wir durchaus auch so dem Hersteller ans Herz gelegt, der künftig genauer hinzuschauen gelobt hat.

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  • Unterm Strich also eher suboptimal für Finish-Pingel.
    Warum mach ich mir trotzdem die Mühe, das Messer hier ausführlich vorzustellen, warum empfehle ich es am Ende den Interessenten, die primär anwendungsorientiert auswählen?


    Weil derartige Kosmetik Modelle anderer Hersteller, oft zu einem Vielfachen des hiesigen Preises, nicht daran gehindert hat, Kultstatus zu erreichen.
    Weil nach einer Stunde Nachbearbeitung (selbst mit so legendär geringem Geschick wie meinem) ein Messer herauskommt, das zu Schärfe oder Kanten keine Makel mehr aufweist und bei dem nur sehr geringe kosmetische Makel verbleiben im Einzelfall.
    Weil man dann ein für mich bemerkenswert gutes und angenehmes Messer mit sehr guten ergonomischen Eigenschaften und einer vielseitig praxistauglichen Klinge bekommt, in einer durchaus funktionalen und bis auf den geschilderten Punkt wirklich wertig gemachten Scheide, die man in dieser Preisklasse suchen muß.
    Und weil das am Ende für jemanden mit meinem Beuteschema ein Messer ist, das man für einen verlockenden Kurs bekommt und nicht mehr weglegen möchte…




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  • Stahl:


    Zur Materialwahl verweise ich auf Beitrag 31 im Little-Bowie-Review:


    Condor / Lennartz "Little Bowie"


    War nach der dortigen Erprobung C75 schon eine gute Wahl für einen Viereinhalbzöller, punktet die Elastizität natürlich erst recht bei einer längeren Klinge wie dieser.
    Die hinreichende Schnitthaltigkeit hat sich bei den Tests mit dem „Little Bowie“ schon ergeben, das im Wechsel Tomaten und Dosenblech und dann wieder Tomaten schneiden mußte und das sehr ordentlich absolvierte.
    Ja, es gibt natürlich per Datenblatt „um Welten“ schnitthaltigeres Material, aber beide Messer haben mir gezeigt, daß ihre Schnitthaltigkeit für mein eigenes Anforderungsprofil ausreicht, ich sie dabei aber bedarfsweise auch wieder mit „Feldmitteln“ nachschärfen kann.
    Das hat sich beim „Belgian Bowie“ z.B. auch beim bzw. nach dem Hacken von gefrorenem Holz gezeigt, das der Schneide keine Leistung nahm.

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  • Klingengeometrie:


    Die 36 mm hohe Klinge des „Belgian Bowie“ ist tatsächlich 2 mm niedriger als die des „Little Bowie“, bei dem Tony es also mit der Erhaltung der Klingenhöhe beim „kleinen großen Messer“ wirklich ernst gemeint hat. Und beim „Belgian Bowie“ ist er zu einer klassischen Säbelschliff-Aufteilung der Anschliffhöhe zurückgekommen – Flachschliff mit einer hälftigen Aufteilung wie bei vielen anderen bewährten großen Bowies. Das „Little Bowie“ ist hingegen in Zweidrittelhöhe angeschliffen und damit vom Querschnitt her potenziell schneidfreudiger. Das „Belgian Bowie“ kann das aber bei vollem Durchzug der Schneide durchs Schneidgut mit der größeren Schneidenlänge ausgleichen.
    Insgesamt bleibt es aber dabei, daß das Messer kein Trüffelhobel oder Sashimimesser ist, sondern ein robustes Field Knife mit einer Schneidengeometrie, die dafür auch die Belastung gröberer Arbeiten gut wegsteckt.












    Länger ist nicht nur die Klinge insgesamt und die Schneide, sondern auch der langgezogene konkave Clippoint. Die Länge gefällt, hier wie beim Harley Battle Bowie beispielsweise oder auch bei Linder-Klassikern wie dem Arkansas Toothpick oder dem Kentucky Bowie. Ein immerhin vier Zoll langer und entsprechend nur moderat nach hinten ansteigender Clippoint bringt bei widerstandsfähigem Schneidgut natürlich im Durchstich ein sehr gutes Verhältnis zwischen Klingenvortrieb und Aufweitung des Schnittkanals und damit gute Penetrationseigenschaften.




    Auch in einem anderen Interessenbereich, für den das Messer aber ausdrücklich nicht entworfen ist, ist ein langer und dann ggf. nachträglich geschärfter Clippoint natürlich für noch weiter verstärkte Penetrationsleistung sowie für wirksame Backcuts von Nutzen. Ja, ich denke darüber nach…

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  • Griff / Ergonomie:


    Zum Griff und zur Ergonomie verweise ich weitgehend auf die Posts 33 und 36 im „Little Bowie“-Review, da der Griff fast identisch ist.






    Condor / Lennartz "Little Bowie"


    Condor / Lennartz "Little Bowie"


    Ein Unterschied findet sich in den beim größeren Modell nicht ganz so tief und konturiert eingeprägten Mulden, die Haltung bleibt aber sehr definiert und vertrauenerweckend.
    Der Griff wirkt dadurch eine Spur fülliger in der Hand, was bei einem größeren Messer ja kein Nachteil ist. Zudem hatte ich beim „Little Bowie“ ja schon erwähnt, daß der Griff für meine kleine Hand traumhaft ist, jemand mit einer großen Hand da vielleicht eine Idee mehr umfassen möchte.


    Die kosmetischen Unterschiede beim hinteren Jimping hatte ich ja schon erwähnt, die kleine zu eliminierende Kante vorn an den Schalen auch, danach ist die Haptik des größeren so angenehm wie die des kleineren Messers.


    Die Vorzüge des Säbelgriffs, der auch hier natürlich alle Haltungen so zuläßt wie im obigen Post 36 dargestellt, machen sich bei der größeren Schwungmasse der längeren Klinge eher deutlicher bemerkbar als beim kleinen Bruder.


    Da der Griff für mich hier das interessanteste Gestaltungsbestandteil ist, möchte ich hier nochmals auf den Vorteil des gebogenen Säbelgriffs eingehen:






    Der hinten oben nach unten abfallende Teil des Griffs gestattet es, einen Teil des unteren Handballens sozusagen schräg auf/hinter diesen Bereich zu legen. Das hat zwei positive Effekte:


    Das Handgelenk wird weniger stark nach unten abgebogen, um das Messer in eine gute Arbeits- und Wirkposition zu bringen.
    Und der hinter dem Griff liegende Teil des Handballens begünstigt einen kraftvollen Klingenvortrieb beim Durchdringen widerstandsfähiger Materialien.








    Man findet solche leicht gekrümmten Griffe zuweilen bei ergonomisch besonders überzeugenden Messern, z.B. von Bastinelli, von Mosier, von Bram Frank…..So einen hinteren Griffbereich findet man zuweilen auch bei Ergonomie-Ikonen wie Bill Moran. Bei großen Messern sind sie leider eher selten, das bemerkenswerte Battle Bowie von Larry Harley fiel mir da für einen Direktvergleich ein, auch das auffällig angenehm in der Hand liegende A&R Korsar nimmt den Gedanken vorsichtig auf….







    Selbst habe ich mal lange mit Blade Systems am Griff eines Outdoorers herumexperimentiert, mit diversen Schablonen, dann dreidimensionalen Griffmodellen, die über Wochen immer wieder der möglichst natürlichen Handhaltung angepasst wurden – das Ergebnis war ähnlich wie beim Säbelgriff von Tony, was das nach unten gerundet abgebogene Griffende betrifft:





    Bei einem Outdoorer muß man ein wenig darauf schauen, daß man die Formanpassung nicht „übertreibt“, denn das Ergebnis muß umfassend in verschiedenen Haltungen anwendbar bleiben und sich auch noch in dicken Handschuhen vernünftig greifen und führen lassen.
    Bei den Säbelgriffen von Tony sind die Ergonomie-Überlegungen umgesetzt bis zu einem Punkt, der die Messer weiter selbst in dicken Winterhandschuhen auch reverse oder edge-up führbar bleiben läßt, wenn die Anwendung das erfordert.
    Das ist ausgezeichnet gelöst.


    Die Form macht das Messer zudem sehr bediensicher, es rutscht durch das herabgezogene Hinterende weder nach vorn aus der Hand, noch rutscht die Hand durch den griffintegrierten unteren Handschutz nach vorn auf die Schneide. Darauf kann man sich verlassen, ohne daß sich andererseits lange „Hindernisse“ am Messer ergeben, die sich beim Ziehen in Kleidung verhaken könnten.
    Und das herabgezogene Griff-Hinterende bietet, ggf. unterstützt durch Handschlaufe / Lanyard hinten (ein Lanyardloch ist ja vorhanden) auch bei kalten und / oder nassen Händen bei Verwendung von Köcherscheiden auch genug „Ansatz“ für die Hand zum Ziehen des Messers.


    Ich habe das Messer indoor mit bloßer Hand verwendet, draußen je nach Wetterlage mit Halbfinger-Handschuhen wie ganzjährig bei mir üblich, wenns kälter war auch mit dickeren Handschuhen, über den französischen Militär-Lederhandschuh für den Winter bis zum wirklich recht dick gefütterten britischen Armee-Modell.




    Das Handling blieb durchweg sehr angenehm, die Handlage definiert.
    Mit den Ausführungen zur Form des Griffs möchte ich jetzt nicht behaupten, daß Messergriffe so sein MÜSSEN, es gibt andere Ergonomie-Ikonen wie z.B. insbesondere Bill Harsey, die auf andere Formen setzen und auch damit überzeugen – aber man KANN Griffe mit sehr guten Ergebnissen eben so formen….


    Der Griff wird hier konventionell, wie schon beim „Little Bowie“, mit geschlossenen Schalen angeliefert, anders als beim Rahmengriff des GBK.
    Tony vertritt mit viel Erfahrung und durchaus schlüssigen Argumenten für viele Messerformen den Rahmengriff, der typisch für das ursprünglich vollintegrale GEK war.
    Einpressen von Teilen der Innenhand in den Rahmen, optimaler Verdrehschutz, automatisch richtig ausgerichteter Schneidenwinkel in der Hand, das alles will ich gar nicht von der Hand weisen.
    Am Ende war mir dennoch individuell ein geschlossener Griff sowohl am GEK-EDC als auch am GTK für mich selbst lieber. Und ich konnte ihn bekommen, im Gegensatz zu den allermeisten damaligen Serienmessern war das bei ihm schon vor Jahren möglich, ebenso eine Wahl zwischen verschiedenen Scheiden-Typen. Ich schätze diese Individualisierungsmöglichkeiten, und ich schätze seine Aufgeschlossenheit, wie oben schon einmal erwähnt.
    Ich hatte das GBK mit Rahmengriff schon in der Hand, es hat nicht zu mir gefunden, das „Belgian Bowie“ war sofort „meins“. Und das zählt dann eben.

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  • Scheide:


    Mitgeliefert wird die schwarze Lederscheide, im Grundsatz ordentlich gemacht aus stabilem Leder, gut vernäht, in dieser Preisklasse wirklich wertig.






    Die Scheide ist nicht seitenwahlfrei, und das hätte man bei einem geraden (wie z.B. beim Al Mar SERE Attack) oder unten symmetrisch runden (wie bei Randall) Abschluß durchaus ohne Zusatzmühe hinbekommen können. Und schon wär das auch was für Linkshänder oder für das Tragen mit der Schneide nach vorn hoch am Gürtel auf der rechten Seite gewesen…
    Aber es ist eine Binsenweisheit, daß viel mehr über Messer nachgedacht wird als über Scheiden, und ebenso, daß es viele gute Messer mit suboptimalen Scheiden gibt.
    Unverständlich finde ich auch, daß die gelobt breite Gürtelschlaufe jetzt beim größeren Modell schmaler ausfällt. Bei einem Bundeswehrkoppel muß man zum Durchfädeln jetzt den Verschluß abnehmen, das mußte man beim „Little Bowie“ nicht.
    Daß man auch bei sehr langen Schlaufen mühelos die Tragehöhe einstellen kann mit einer Schlaufe Paracord durch eine Zweierreihe von Löchern in der Schlaufe, kann man bei Randall leicht lernen, wenn man sich ausnahmsweise eben nicht nur andere Messer ansieht, sondern auch andere Scheiden.


    Die Sache mit dem sehr schmalen Mund und dem sehr kurzen Riemen hatte ich erwähnt, beides reversibel ohne große Mühe bis auf die kleine so wohl unvermeidliche Stauchung, wo das Ricasso gegen den Rand knallt….Hätte sich mühelos vermeiden lassen, stört aber nur kosmetisch.


    Auch da ein bemerkenswerter Pluspunkt für Tony:
    Er hat dann selbst alternativ eine Scheide entworfen (Insider-Scherz zwischen alten Kampfgenossen: Sowas kennen wir ja schon ïŠ ) – und die ist viel besser als die Serienscheide…schöner eh.
    In Handarbeit von einem einzelnen Handwerker gefertigt, sehr gut sitzend, schön anzusehen.







    Vor allem aber mit dem „Angebot“, sie wahlweise konventionell in zwei verschiedenen Tragehöhen zu tragen oder in Tonys favorisierter Position cross links.
    Wenn man auch ein großes Messer offen führen kann, ist das eine tolle Position, bedarfsweise ist das Messer mit beiden Händen gut zu erreichen und in so gut wie jeder Körperhaltung gut zu ziehen, auf engstem Raum auch mit sehr nah am Körper anliegenden Armen.


    Da es aber in unserem zunehmend hysterischen Land ja auch mal diskreter sein und das Messer komplett unter Jacke/Smock getragen werden soll, bin ich froh über die konventionellen Tragemöglichkeiten.

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  • Gebrauch:


    Zur Schnitthaltigkeit hatte ich ja schon kurz beim Stahl etwas geschrieben, ansonsten verweise ich auf Post 58 des „Little Bowie“-Reviews zu den grundsätzlichen Features…


    Condor / Lennartz "Little Bowie"








    Wie gesagt, schärfen muß man es erst einmal. Dann schneidet es outdoormesser-gerecht, nicht wie ein Sashimi-Slicer. Was zum „Little Bowie“ dazu geschrieben wurde, kann fürs „Belgian Bowie“ weitgehend so bleiben. Auch nach dem Abhacken einiger gefrorener Äste zum Unterklettern eines querliegenden Baums schnitt es daheim Fleisch und Wurst ohne Mucken und hat bislang insgesamt nicht spürbar nachgelassen. Ordentlich wärmebehandelter C75, eine bewährte Klingengeometrie…






    In verschiedenen Haltungen lag es bei allen Jobs dabei ausgesprochen angenehm in der Hand, bei feineren Arbeiten weit vorn mit umfaßtem Handschutz, bei freihändigem Hacken auch mal mit nur hinten halb umfaßtem Griff, immer sicher….
    Dieses subjektiv eben auffällig angenehme Handling bei ordentlicher Leistung hat die Sache für mich eben im Praxisgebrauch draußen wie drinnen ausgemacht und mich von dem Messer einfach überzeugt.

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  • Welches Bowie soll es sein?


    Für den Durchschnittswanderer liegt das kompakte und „erklärungsfreie“ (ohne Diskussion 42a-konforme) „Little Bowie“ für mich vorn.





    Nach wie vor begeistert mich das Konzept des „kleinen großen Messers“, und es hat sich für mich in der damaligen Erprobung und auch im anschließenden Gebrauch als umfassend nützlich erwiesen.




    Aber manche von uns mögen „Full Size“, und größere Outdoormesser haben eine SEHR lange Tradition, nicht alle haben die Präferenzen von Sears. Will man auch mal freihändig etwas hacken oder zurichten, punktet die lange Klinge, auch die längere Schneidenlinie punktet sofort, wenn man voluminöseres oder widerstandsfähigeres Schneidgut bearbeitet. Und Spaß machen sie auch noch…


    Ich mag bekanntlich diese Messergröße, bei ganz friedlicher Verwendung, alles andere ist hysterischer Mumpitz. Aber ich hab einfach Freude daran, mich zum Steinpilz mit dem Vierzehner oder dem Legionsbowie nicht so tief runterbücken zu müssen oder einen störrischen wegversperrenden Totholzast ohne weiteres Werkzeug kappen zu können…


    Mich zieht das Messer hinaus, und da macht es dann seinen Job gut!







    Wo die Erklärungsfreiheit nicht übermäßig punktet und es zum Mitnehmen nicht so kompakt wie möglich sein muß, ist das erschwingliche und schöne Messer für den anwendungsorientierten Interessenten wirklich eine Überlegung wert, trotz der kleinen Abstriche in der kosmetischen Haltungsnote. Und für diesen Interessentenkreis hat es meine Empfehlung!


  • Heideblitz, was ein Essay.


    Tolles Review, geiles Messer. A touch of Recondo, finde ich. Und dadurch mitten in meinem Beuteschema.


    Vielleicht sollte ich doch auch mal wieder über den Tellerrand schauen, markentechnisch.


    Danke, Micha. :thumbup:

  • Was für ein schöner Abschluss eines wunderbaren Tages. Bettlektüre vom Feinsten.


    Vielen Dank für diese interessante und fundierte Vorstellung. Das Messer hat durchaus etwas und ich kann sehr gut verstehen, dass es eine gewisse Anziehungskraft auf den Micha ausstrahlt. Die besagten Negativpunkte verzeiht man dem Belgian Bowie gern, weil das rustikale Äußere eben sehr gut zum Konzept des Messers passt.


    Ich bin gespannt ob sich da seitens Condor was tut. Vielleicht findet dann so ein Belgian Bowie auch noch den Weg zu mir. Sexy ist es allemal.

    two is one - one is none

  • Guten Abend Micha


    Was für ein tolles Weihnachtsgeschenk von Dir. 8o
    Zum Ende des Jahres, noch das beste Review hervorzuzaubern.
    Dieses Bowie passt super zu Dir Micha.
    Du hast mich ja schon zum kleinen Bruder gebracht, ich besitze ja schon ein Belgier, nur der schneidet nicht. ;)


    LG


    Sacha

    „Wenn du Frieden willst, redest du nicht mit deinen Freunden. Du redest mit deinen Feinden.“

  • Schöne Lektüre gestern noch zum Ausklang von Heiligabend :weihprost: :thumbup:


    Sehr interessant finde ich die zwei Messer mal nebeneinander zu sehen; Stichwort ja kleinzoomen etc. Toll umgesetzt vom Designer!
    Das vom kleinen zum großen Messer plötzlich so eine "Schlampigkeit" auftritt, muss wohl wirklich nicht sein; angesichts des aufgerufenen Preises und was man dafür an "Messer" erhält, kann man es verschmerzen und selbst Hand anlegen.


    Tendieren würde ich da auch eher zum kleinen, wobei es da auch das ähnliche Pandur gibt (gab?).


    Danke jedenfalls fürs tolle Review (noch dazu am Abend des 24.!) :clap:

  • Danke für das Review Micha, sehr ausführlich geschrieben und gut bebildert. So richtig will der Funke nicht überspringen ein haben wollen stellt sich nicht ein, das liegt zum einen an der nicht so schneidfreudigen Klingengeometrie aber auch an dem Holster und den beschriebenen Mängel, ich ziehe da das GEK aus Eickhorn Fertigung vor, bei dem es bei mir auch lange gedauert hat bis ich mich überzeugt habe.

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